Weißer Montag für den Frieden
Ein Meinungsbeitrag von Stefan Nold
„Ich denke, dass der stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt und den Mut hat, die weiße Flagge zu schwenken und zu verhandeln.“
Das sagte Papst Franziskus kürzlich an die Adresse der Ukraine. Medien, Politik und auch die Kirchen schrien auf, wutentbrannt. Soldaten und Sportler haben eines gemeinsam: Sie wissen, dass man gewinnen – aber auch verlieren kann.
Ein Sieg lässt sich nicht herbeireden. Je mehr man die Niederlage hinauszögert, desto schlechter das Ergebnis. So dachten die Militärs um Oberst Graf von Stauffenberg beim Attentatsversuch auf Hitler am 20. Juli 1944.
Auch im ersten Weltkrieg wusste der radikale Nationalist Erich Ludendorff in der Obersten Heeresleitung, wann der Krieg aussichtslos geworden war und forderte im Herbst 1918 die Regierung zu Waffenstillstandsverhandlungen auf.
Man muss kein Pazifist sein, um die weiße Fahne zu hissen. Man braucht nur Einsicht und Verstand. Der totale Krieg ist keine Lösung.
Papst Franziskus hat recht. Wir sollten den Ball, den er ins Spielfeld geschlagen hat, aufnehmen, zum Beispiel jeden Montag um 18:00.
Als man uns das Recht auf körperliche Unversehrtheit nehmen und uns zwangsimpfen lassen wollte, sind wir jeden Montag in ganz Deutschland auf die Straße gegangen, in Dörfern, Städten ja auch in einzelnen Stadtteilen.
Diese Spaziergänge waren etwas Besonderes. Es gab keine Reden; Menschen haben sich kennen gelernt und miteinander gesprochen anstatt stumm den Matadoren mit den großen Mikrophonen zuzuhören. Dieser beharrliche, ruhige Protest jede Woche an Tausenden Orten im ganz Land hatte am Ende Erfolg.
Vor kurzem schickte mir mein Freund Ernst eine Rede, die er auf einer Demo für „Demokratie und Menschenrechte“ für seinen DGB-Ortsverband gehalten hatte. Es waren schöne Worte, wirklich mitreißend – aber trotzdem ohne Zündstoff. Als ich ihn darauf ansprach, antwortete er:
„Im Vorfeld war vereinbart worden, dass die gegenwärtigen Kriege und das Thema Frieden außen vor bleiben sollten.“
Wie bitte? Der Krieg hat die Ukraine „in einen Friedhof verwandelt“, die Krankenhäuser sind „voll von gebrochenen Menschen, die Schlachtfelder mit Leichen übersät.“ [1] In Gaza sind über eine Million Kinder durch Bombardierungen, Mangelernährung und Erkrankungen bedroht. [2]
Da darf man sich doch keinen Maulkorb umbinden! Auf lokaler Ebene lassen sich die Bürger nicht den Mund verbieten. Da wird engagiert und konstruktiv diskutiert; jeder ist bereit mitzutun und zu helfen.
Peter Kropotkin hat 1902 ein großartiges, leider vergessenes Werk über diese Bereitschaft zur „gegenseitigen Hilfe“ geschrieben. [3] Aber wenn es um die großen Themen geht, lassen wir uns ins Bockshorn jagen. Hans, ein anderer Freund, berichtete neulich, wie sein achtjähriger Enkel die Nachrichten kommentierte:
„Der Putin, das ist doch der Chef vom Krieg.“
Kindermund bringt die Botschaft, die uns die Propaganda täglich in die Köpfe hämmert, auf den Punkt. Ein guter Freund und Nachbar hat zum Jahrestag des Kriegsbeginns eine ukrainische Fahne aus dem Fenster gehängt.
Mein Gott Matthias, das ist Krieg und keine Weltmeisterschaft! Meine Großmutter hat einmal erzählt, ihre kleinere Schwester Grete habe 1914, als die Türkei an der Seite Deutschlands in den Krieg gezogen ist, gerufen: „Ein Hoch auf die edlen Türken!“
Diese massakrierten dann die Armenier zu Hunderttausenden. Auch wir sind heute so naiv wie das Deutschland von 1914, von der kleinen Grete bis zu Ludwig Thoma und Th. Th. Heine, den Machern des Simplizissimus, die damals ihr Satireblatt entweder einstellen oder die Kriegspolitik unterstützen wollten. [4]
„Los, Ihr Bürger. Auf geht’s”, hatte ich kürzlich geschrieben. Leser „Abbe“ antwortete:
„Sie haben Recht mit Ihren Argumenten“ und fuhr fort: „Auf geht’s“ bewirkt leider gar nichts … Wohin? mit welchem, zeitnah realisierbaren Ziel?!“ [5]
Ja, mit Texten allein kommt man nicht weiter. Deshalb trafen wir uns am 18.3. zum ersten Montagsspaziergang für den Frieden auf dem Löwenplatz, dem Zentrum unseres Stadtteils in Darmstadt-Arheilgen.
Wir alle hatten etwas Weißes an, ein weißes T-Shirt, einen weißen Schal, eine weiße Armbinde oder ein weißes Stirnband. Einer trug eine weiße Fahne; ich hatte ein Plakat mit 12 Geboten für den Frieden um den Hals.
Sabine, eine Teilnehmerin, wies mich darauf hin, dass es in Hessen bereits meldepflichtig ist, wenn sich zwei (!) Personen zu einer „kollektiven Meinungsäußerung“ treffen; kulturelle, sportliche, religiöse oder gewerbliche Veranstaltungen sind ausgenommen. [6]
Um die Verkehrssicherheit geht es also nicht. In Zukunft werden wir unsere Zusammenkunft als „weiße Montagsandacht für den Frieden“ abhalten. Zunächst wird jeder die Gelegenheit haben, spontan zu sagen, was ihr oder ihm zum Thema Frieden auf dem Herzen liegt.
Dann wird ein kurzer spiritueller oder religiöser Text verlesen, und dann werden wir wie gehabt unseren Spaziergang machen und uns unterhalten.
Die Montagsdemonstrationen – auch unter dem biblischen Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ (Micha 4,3; Jesaja 2,4; Joel 4,9) – waren der Anfang vom Ende der DDR.
So große Hoffnungen habe ich nicht, manchmal bin ich sogar ziemlich verzweifelt, wenn ich sehen muss, wie Menschen zu Zehntausenden sterben und gute Freunde die Mitschuld des Westens einfach leugnen, obwohl es dafür viele Beweise aus erster Hand gibt. [7] In Artikel 1 des Nordatlantikvertrags haben sich die Unterzeichner verpflichtet,
„jeden internationalen Streitfall an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, dass der internationale Frieden, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar ist.“ [8]
Als „Bürger in Uniform“ haben wir das damals zusammen mit dem Grundgesetz bekommen; es war die Grundlage unseres Dienstes an der Waffe. Heute sucht der Westen die Entscheidung auf dem Schlachtfeld [9] und torpediert alle diplomatischen Bemühungen.
Die NATO ist von einem dem Frieden verpflichten Verteidigungsbündnis zu einer todbringenden, menschenverachtenden Kriegskoalition geworden. Damit zerstören sich die NATO-Staaten selbst, militärisch, wirtschaftlich und moralisch.
Sie erodieren die Werte, die ihre Gesellschaften stillschweigend zusammenhalten. Der Mainstream klatscht, der Rest nimmt es hin. Das ist traurig. Erwin, der schon bei den Corona-Spaziergängen dabei war, machte mir Mut: Das ist „wie bei Forrest Gump, einer läuft los und dann sind’s auf einmal Tausende”. [10]
Vielleicht bewahren wir auf diese Weise unsere Kinder und Enkel vor einem großen, blutigen Krieg, an dessen Ende sogar die Bombe stehen kann. Der „Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft“ (Phil 4,7) und die Friedensbotschaft der Bücher Jesaja und Micha bis hin zum Wirken von Jesus können den Glauben an den Frieden stärken, aber auch buddhistische und andere Weisheitslehren.
Wir müssen loslaufen. Jetzt! Wir sollten trommeln, telefonieren, mailen, posten, organisieren, beten. Es bringt nichts, „wenn der Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet.“ (Jesaja 58, 5)
Ein beharrlicher, stiller, gewaltfreier, dezentraler und selbstorganisierter Protest an Tausenden Orten im ganzen Land wäre wirkungsvoll. Die Eliten würden merken, dass ihnen langsam die Kontrolle entgleitet und sie allein sind, ohne Rückhalt im Volk; ihre Kassen sind leer, die Zukunft düster.
International haben sie nur sich selbst. Jeder außerhalb der Medienblase weiß, dass der Krieg für den Westen verloren ist. [11] Wenn die USA und die EU ihr großes freiheitliches Erbe erhalten und Hunderttausende vor dem sicheren Tod erretten wollen, müssen sie jetzt einlenken, sonst ist alles, wirklich alles hin.
Deshalb: Machen wir ab jetzt jeden Montag zu einem weißen Montag für den Frieden!
12 Gebote für den Frieden
- Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts. (Willy Brandt, 3.11.1981)
- Du sollst nicht töten. (Moses, 2. Mose 20,13)
- Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen. (Jesus von Nazareth, Mt 5,9)
- Die Ehrfurcht vor dem Leben und das Miterleben des andern Lebens ist das große Ereignis für die Welt. (Albert Schweitzer, 23.2.1919)
- All we are saying is give peace a chance. (John Lennon, 1.6.1969)
- Der ist stärker, der den Mut hat,die weiße Fahne zu schwenken. (Papst Franziskus, 9.3.2024)
- Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen. (Jesus von Nazareth, Mt 5,44)
- Reden erhält Leben; Schweigen ist Mord.
- Krieg heißt Blut, Schmerz und Tod, nimmt uns Leben und Brot.
- Soldaten! Wollt ihr ewig sterben? Vom Verhandeln ist noch keiner gestorben.
- Der Kriege sind genug geführt, lasst uns auch endlich Frieden sehn!
- Und wenn wir keine Bomben werfen, dann leben wir noch morgen!
Quellen und Anmerkungen
Quellen (Schriftartikel)
[1] MacGregor, Douglas (1.8.2023) Make peace you fools! America’s proxy war with Russia has transformed Ukraine into a graveyard. https://www.theamericanconservative.com/make-peace-you-fools/ The American Conservative. The American Ideas Institute: Washington D.C.
[2] Kahmann, Christine (5.1.2024) Bombardierungen, Mangelernährung und Krankheiten bedrohen rund 1,1 Millionen Kinder im Gazastreifen. https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-/kinder-in-gaza-bedroht/346652 Pressemitteilung. Deutsches Komitee für UNICEF e.V: Köln.
[3] Kropotkin, Peter (1902) Mutual Aid. A Factor of Evolution. Verwendete Ausgabe: Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt. Übersetzung: Gustav Landauer, Seitenangaben im Text. Alibri: Aschaffenburg.
[4] Roth, Eugen (1954). Simplizissimus. Ein Rückblick auf die satirische Zeitschrift. S 42-44. Fackelträger: Hannover.
[5] Nold, Stefan (13.3.2024) Flugzeugkatastrophe von Ramstein oder: Das Durchstoßene Herz https://overton-magazin.de/top-story/flugzeugkatastrophe-von-ramstein-oder-das-durchstossene-herz/ Buchkomplizen GmbH: Köln
[6] https://digitales-rathaus.darmstadt.de/kategorien/dienstleistungen/demonstrationen-versammlungen
[7a] Chalyj, Oleksandr (5.12.2023) (ehemaliger Stv. Außenminister der Ukraine) in: Breaking the Stalemate to Find Peace: The Russia-Ukraine War – A Geneva Security Debate. https://www.youtube.com/watch?v=t2zpV35fvHw (Minute 24:30 – 29:40). Geneva Centre for Security Policy: Genf.
[7b] Bennett, Naftali (4.2.2023) Interview mit Hanouch Daum (Hebräisch mit englischen Untertiteln) https://www.youtube.com/watch?v=qK9tLDeWBzs ab Stunde 2:53:58. Naftali Bennett: Youtube Kanal.
[8] NATO (4.4.1949) Nordatlantikvertrag. Artikel 1. Übersetzung aus Bundesgesetzblatt 1955, II. 293. zitiert nach: Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) (1977). Grundgesetz, Nordatlantikvertrag, Wehrgesetze (Auszüge). Herausgegeben in der Schriftenreihe Innere Führung Fü S I5. BMVg: Bonn.
[9] Borrell, Josep (9.4.2022) „Krieg wird in der Schlacht um den Donbass entschieden.“ Tagesspiegel: Berlin. https://www.tagesspiegel.de/politik/eu-aussenbeauftragter-halt-waffen-fur-wichtiger-als-sanktionen-8140408.html
[10] Zemeckis, Robert (1994) Forrest Gump (Drehbuch: Eric Roth) Laufszene: https://www.youtube.com/watch?v=QgnJ8GpsBG8 Produzenten: Wendy Finerman, Steve Starkey und Steve Tisch. USA.
[11] Mearsheimer, John (14.3.2024) Ukraine‘s Dangerous Last Gasp. Interview mit Andrew Napolitano. https://www.youtube.com/watch?v=IxoWXV0Uk8Q Youtube Kanal Judging Freedom mit Andrew Napolitano
Quellen (12 Gebote für den Frieden)
zu 1: Willy Brandt: Rede zur Festveranstaltung anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Verlags J.H.W. Dietz Nachf. in Bonn https://www.willy-brandt-biografie.de/wp-content/uploads/2019/09/WB_BerlinerAusgabe_05.pdf#page=363
zu 4: Albert Schweitzer: Die Ehrfurcht vor dem Leben. Predigt zu St. Nicolai, Straßburg aus: Albert Schweitzer: Die Ehrfurcht vor dem Leben.Grundtexte aus Jahrzehnten Beck (1966)
zu 5: Lennon, John, Yoko Ono et al. Give peace a chance. „Bed in“ Queen Elizabeth Hotel: Montreal
zu 6: Meldung (9.3.2024) Bruni: „Der Papst ruft zum Mut zu Verhandlungen für die Ukraine auf“ Stellungnahme zu einem Interview des Papstes mit Lorenzo Buccella. Papst Franziskus: „Ich denke, dass der stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt und den Mut hat, die weiße Flagge zu schwenken und zu verhandeln.“ https://www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2024-03/papst-franziskus-ukraine-verhandlungen-pressesprecher-erklaerung.html Vatican News: Città del Vaticano.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf apolut.net
https://apolut.net/weisser-montag-fuer-den-frieden/
Der Inhalt des Artikels entspricht der Meinung des Autors und nicht notwendigerweise der Meinung der Redaktion.
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