Ausbeutung und Krieg als Folge wirtschaftlichen Ungleichgewichts
In jedem Lebensbereich führt die richtige Balance zu Erfolg. Zum Beispiel ist es im persönlichen Leben notwendig, Balance zwischen Arbeit, Pausen, persönlicher Zeit (z. B. für spirituelle Praxis), Nahrungsaufnahme, Schlaf etc. zu wahren.
Genauso bedarf es auch in der Wirtschaft einer Balance. Konkret meine ich damit den jeweiligen Anteil der Menschen, die in den jeweiligen Wirtschaftsbereichen (v. a. Industrie und Landwirtschaft) arbeiten.
PROUT hat den Anspruch, ein Wirtschaftssystem in einer solchen Balance zu sein.
In Bezug auf die Verteilung der Bevölkerung in die verschiedenen Wirtschaftsbereiche empfiehlt PROUT folgendes (im Folgenden nach P. R. Sarkar, Proutist Economics, Hervorhebungen durch den Redakteur):
So wie die Landwirtschaft auf einem wissenschaftlichen System beruhen muss, muss auch die Industrie in perfekter Abstimmung mit der Landwirtschaft organisiert werden.
[…]
Für ein vollkommen ausgewogenes wirtschaftliches Umfeld ist es erforderlich, dass etwa dreißig bis vierzig Prozent der Bevölkerung direkt von der Landwirtschaft abhängen, und etwa zwanzig Prozent von der Agrico-Industrie [verbunden mit der Produktion landwirtschaftlicher Geräte und Technologie], zwanzig Prozent von der Agro-Industrie [verbunden mit der Verarbeitung angebauter Nahrungsmittel und Rohstoffe], zehn Prozent vom allgemeinen Handel und zehn Prozent von intellektuellen oder Angestelltenberufen.
Diese Empfehlung mag für westliche Ohren zunächst einmal überraschend klingen. Erstens unterscheidet sie sich drastisch von der Realität in den meisten Industrieländern.
In Deutschland arbeiten nämlich z. B. mittlerweile nur noch 1,2 % der Erwerbstätigen im “primären Sektor”, d. h. in der Land- und Forstwirtschaft, etwa 24 Prozent im “produzierenden Gewerbe” und die restlichen 75% in übrigen Wirtschaftsbereichen bzw. im Dienstleistungssektor. [1]
Dies liegt auch daran, dass kleine Betriebe immer weniger konkurrenzfähig sind und ihren Hof und ihr Land verkaufen. Ihr Betrieb wird dann in der Regel von größeren Betrieben und Landwirtschaftsunternehmen geschluckt, was zu einer stetigen Konzentration von Ackerfläche in immer weniger Händen führt. [2]
Zweitens kommen in dieser Empfehlung die nichtlandwirtschaftlichen Industrien gar nicht vor. Sarkar erklärt wenige Abschnitte weiter, wie diese in Balance zu den anderen Wirtschaftszweigen stehen sollten:
Der prozentuale Anteil der in nichtlandwirtschaftlichen Wirtschaftszweigen beschäftigten Personen sollte durch Verringerung des Anteils der direkt von der Landwirtschaft, der Agrico-Industrie und der Agro-Industrie abhängigen Personen gebildet werden.
Der Prozentsatz der in nichtlandwirtschaftlichen Industrien beschäftigten Personen muss zwischen zwanzig und dreißig Prozent der Gesamtbevölkerung liegen.
Liegt der Anteil der Bevölkerung, die in nichtlandwirtschaftlichen Wirtschaftszweigen tätig ist, in einem Land unter zwanzig Prozent, so gilt das Land als industriell unterentwickelt.
Das Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung kann nicht sehr hoch sein. Auch der Lebensstandard kann nicht sehr hoch sein, weil die Kaufkraft der Menschen sehr begrenzt bleibt.
Wegen der geringen Kaufkraft für Konsumgüter bleibt der Importindex immer niedriger als der Exportindex, oder anders gesagt, das Gebiet muss ein Satellit eines entwickelten Landes bleiben. Folglich ist das Gleichgewicht der Kräfte in der Welt gefährdet und ein Krieg ist immer möglich.
Insbesondere die letzten zwei Sätze haben eine bemerkenswerte Aktualität. Solange es ein Ungleichgewicht der Kräfte gibt, weil manche unterentwickelte Staaten oder Regionen von anderen abhängig sind, bestehen internationale Spannungen und die Möglichkeit eines Krieges.
Ein wesentlicher Schritt zum Frieden ist folglich die wirtschaftliche Entwicklung jeder Region dieses Planeten – jedes Landes sowie jedes Gebietes in den einzelnen Ländern, sodass all diese Länder und Gebiete auf eigenen Füßen stehen können.
Doch genau wie es manche Gebiete gibt mit unterentwickelter Industrie, sind andere Gebiete überindustrialisert. Sarkar erklärt das so:
Wenn der Prozentsatz der Menschen, die in nicht-landwirtschaftlichen Branchen tätig sind, zwischen zwanzig und dreißig Prozent der Bevölkerung liegt, ist dies der Zustand einer ausgewogenen Wirtschaft – einer wirklich ausgewogenen sozioökonomischen Struktur.
Wenn der Prozentsatz über dreißig Prozent hinausgeht, wird das Gebiet industriell entwickelt. Je mehr dieser Prozentsatz über dreißig Prozent ansteigt, desto überindustrialisierter wird das Gebiet.
Sicherlich zählt auch Deutschland zu den Ländern, die Sarkar als überindustrialisiert bezeichnen würde, was sich z. B. aus der oben erwähnten Statistik zu dem schwindenden Anteil der arbeitenden Bevölkerung in der Landwirtschaft ableitet.
Diese Länder mit einem unverhältnismäßig großen Fokus auf Industrie tendieren dann dazu, weniger entwickelter Länder auszubeuten:
Um sich mit landwirtschaftlichen Produkten zu versorgen, versuchen überindustrialisierte Länder, sich produktive landwirtschaftliche Regionen oder Länder anzueignen und sie zu ihren Satelliten zu machen. Diese überindustrialisierten Länder halten es auch für notwendig, industriell unterentwickelte Länder unter ihrer Kontrolle zu halten, um sie als Markt für ihre Fertigwaren zu nutzen.
Wenn sie keinen Markt finden, um die in ihren Ländern produzierten Konsumgüter zu verkaufen, leiden sie unter wirtschaftlicher Depression und wachsender Arbeitslosigkeit.
Am Ende steht also eine gegenseitige ungesunde Abhängigkeit: während auf der einen Seite Länder zu Lieferanten von Rohstoffen und Agrarnationen degradiert werden (z. B. auf dem Kontinent Afrika) und nicht ihr industrielles Potenzial entwickeln können, werden auf der anderen Seite reiche Länder davon abhängig, billige Rohstoffe und billige Arbeit aus ebendiesen Ländern zu erhalten, um ihren Betrieb weiter aufrecht zu erhalten.
Anmerkung zur aktuellen Entwicklung in Deutschland
Aktuell können wir tatsächlich eine Deindustrialisierung in Deutschland beobachten, in dem Sinne, dass Industrie abgebaut und weniger produziert wird. Der Grund hierfür ist allerdings nicht sorgfältige und wohlwollende Planung, die auf eine wirtschaftliche Balance ausgerichtet ist, sondern bestimmte politische Manöver, wie zum Beispiel der Import von teurem LNG, dass von nun an das vergleichsweise billige russische Gas ersetzen soll.
Auch führt diese Entwicklung in Deutschland nicht zu einer Gesundung der Wirtschaft, d. h. einer Dezentralisierung und Demokratisierung, sondern führt im Gegenteil einerseits zu mehr Konzentration von Kapital und damit Macht in den Händen großer Konzerne, die sich die teuren Strom- und Gaspreise noch leisten können und anderseits zu mehr Abhängigkeit in der Form von LNG-Importen von anderen Kontinenten.
Quellen:
Zitate: P. R. Sarkar: Principles of Balanced Economy in: Proutist Economics, Ananda Marga Publication, Kolkata 2020.
[2] https://www.quarks.de/umwelt/landwirtschaft/so-hat-sich-die-deutsche-landwirtschaft-entwickelt/
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