Das Lebensprinzip der Balance
Von Indrajit Joachim Voigt
Zwischen diesen physischen, metaphysischen, weltlichen, überweltlichen und spirituellen Nutzungen sollte ein angemessener Ausgleich bestehen.
So lautet das 4. Grundprinzip des ganzheitlichen Gesellschaftskonzepts PROUT.
Gesellschaftliche Entscheidungsprozesse sind selten konfliktfrei. Was sich in einem Bereich vorteilhaft auswirkt, wirft oft auf einer anderen Seite seine Schatten.
Will etwa eine Gemeinde ihr Bebauungsland erweitern, geht dies auf Kosten der Natur. Eine Verkürzung der Arbeitszeiten bedeutet zwar mehr Zeit für Persönliches, aber auch Einkommensverzicht. Wie lange kann ein Produkt recycelt werden – stehen Aufwand und Erfolg in einem vernünftigen Verhältnis? Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Prioritäten setzen
Doch nicht nur im sozialen und ökonomischen Bereich – auch als Individuen müssen wir lernen Prioritäten zu setzen. Albert Einstein war ein guter Violinespieler, doch seine Priorität war die Physik, und diese zu seinem Beruf zu machen war sicher eine gute Entscheidung. Häufig verlangen sehr unterschiedliche Bedürfnisse und Fähigkeiten nach einem sinnvollen Ausgleich.
Im Bereich Gesellschaftspolitik trifft zudem eine Vielzahl konträrer, tief verwurzelter Interessen aufeinander, wie sich bei jeder neuen Regierungsbildung wunderbar beobachten lässt.
Welche Maßstäbe sollen also gelten, wenn das eine fast immer auf Kosten des anderen geht? Hier müssen fundamentale Prioritäten geklärt und auf die jeweiligen Umstände angewendet werden – eine immer wieder schwierige Aufgabe.
Die Richtung ist entscheidend
Jeder gesellschaftspolitischen Entscheidung liegen bewusste oder unbewusste Prioritäten zugrunde. Fehlt es an gemeinsamen Prioritäten, kommt es zu Streitereien über Detailprobleme, die die parlamentarische Demokratie nachhaltig lähmen können. Die Einforderung von Parteigehorsam verstärkt diesen Effekt noch.
Das progressive, ganzheitliche Menschenbild, auf dem PROUT beruht, könnte als gemeinsamer Nenner dazu beitragen Detailkonflikte besser und schneller zu lösen. So wäre etwa ein Einkommenszuwachs bei Wenigverdienern ein Erfolg; bei Vielverdienern eher nicht, hier wäre vielmehr ein Gewinn an Freizeit ein Erfolg.
In einem PROUT-Szenario würden viele Entscheidungen über die sozio-ökonomische Entwicklung in einer dezentralen Struktur mit direkten Abstimmungswegen getroffen. So könnten sich Vertreter aus unterschiedlichen sozialen Gruppen an einen Tisch setzen und Vorschläge über Arbeitsbedingungen, Wirtschafts- und Stadtplanung oder Bildungspolitik erarbeiten und möglicherweise auch beschließen. Die Gesellschaft bestimmt selbst über ihr Leben und ihre Zukunft.
Talentnutzung
Aus dem Prinzip der “maximalen Nutzung” ergibt sich hier außerdem die Überlegung, dass Menschen die Möglichkeit haben sollen auf dem Gebiet zu arbeiten, wo sie persönlich das größte Talent zeigen. Dies bedeutet konkret etwa “Schicke einen Akademiker nicht zum Straßenbau” (hier eine klare Abgrenzung zur egalitären kommunistischen Ideologie, die in China in die berüchtigte “Kulturrevolution” mündete).
Andererseits sollen Menschen die Möglichkeit haben, eine zu eingleisige, u. U. gar monotone Beschäftigung zu vermeiden, etwa durch Rotation oder andere Methoden der Flexibilisierung von Arbeit.
Der größte gesellschaftliche Nutzen spirituell entwickelter Menschen ist laut Sarkar die Fähigkeit zu unparteiischem, klugem, und nicht von egoistischen Interessen geleitetem Denken und Handeln. Diese Menschen nennt er Sadvipras und weist ihnen, ohne konkret zu werden, eine wichtige Rolle im sozialen Gefüge zu: als Kontrollinstanz für das politische System sollen sie dieses überwachen, ggf. aufkeimende Korruption oder Machtmissbrauch verhindern oder korrigieren. Vergleichbare Ansätze kennen wir heute in Form von Verfassungsgerichten oder von Kontrollinstitutionen wie Rechnungshöfen.
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