Amritesha Elias Rolf | 26. November 2022
Eine menschliche Alternative zu Gefängnissen.
Besserungsanstalten für persönliche Transformation
„Selbst wenn ein Mensch unschuldig ist, wird er oder sie genauso von der korrigierenden Maßnahme profitieren wie der oder die wahre Schuldige… Selbst wenn dieses System der unparteiischen Gerechtigkeit fehlerhaft ist, besteht keine Möglichkeit, jemandem zu schaden.“ [1]
Die Methode, Kriminelle in Gefängnisse zu stecken ist nicht nur ineffektiv, sie ist auch unmenschlich. Denn eine Bestrafung durch Haft garantiert nicht, dass auch tatsächlich eine charakterliche Besserung der Bestraften stattfindet. Im Gegenteil werden Bestrafte häufig resigniert, psychisch gebrochen oder radikalisiert aus dem Gefängnis entlassen.
Gefängnisse und unser Strafrecht dienen natürlich auch dem Schutz der Gesellschaft vor Gewaltverbrechern. Wenn Menschen durch ihr Verhalten eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen, wird es in der Tat notwendig, diese von der Gesellschaft zu trennen. Allerdings wird in den meisten Gefängnissen die Gewalt hinter ihren Mauern nicht angemessen kontrolliert. Bo Lozoff schreibt dazu:
„Mehr als 70 Prozent der Gefangenen sitzen in Haft wegen gewaltfreier Straftaten. Ohne ein einziges neues Gefängnis zu bauen, haben wir viel
Platz für wirklich gefährliche Straftäter. Aber wenn wir 70 gewaltlose Straftäter – von denen die meisten Todesangst haben und nur lebendig herauskommen wollen – mit 30 gewalttätigen Straftätern zusammentun, wie viel Prozent werden wohl gewaltfrei sein, wenn sie entlassen werden? Ich kenne viele junge Männer und Frauen, die von älteren Gefangenen ermutigt wurden, in der ersten Woche nach ihrer Ankunft einen Mitgefangenen anzugreifen und/oder zu töten damit sie sich einen Ruf erwerben können der sie einigermaßen vor Übergriffen schützt.“ [2]
Für Gewaltverbrecher sind hohe Mauern erforderlich; hinter diesen Mauern braucht es jedoch einen völlig anderen Ansatz als in herkömmlichen Gefängnissen.
Der indische Philosoph P.R. Sarkar etwa hatte eine völlig andere Vision. Er forderte:
„Reißt die Gefängnisse ab und baut […] Besserungsanstalten. […] Denjenigen die aufgrund eines [angeborenen] Defekts Verbrechen begehen, sollten eine Behandlung angeboten werden, damit sie sich humanisieren können.
Und was diejenigen betrifft, die aus Armut Verbrechen begehen, so muss ihre Armut beseitigt werden.“ [3]
Um Straftäter umzuerziehen, ist es wichtig, einige der der verschiedenen Ursachen für kriminelles Verhalten zu verstehen. Sarkar betonte, dass Kriminelle sich voneinander unterscheiden, und es gibt verschiedene Gründe, warum sie Verbrechen begehen, wie etwa Handeln aus Affekt, Armut, der Einfluss von Drogen- oder Alkoholrausch, psychiatrische Störungen usw.
Sarkar beklagte, dass die Wissenschaft noch keine zufriedenstellenden Methoden entwickelt hat, um kriminelles Verhalten psychologisch, soziologisch oder in bestimmten Fällen neurologisch zu beheben. Er forderte, dass Umerziehungszentren “reiner und menschlicher” sein und ein “kongeniales Umgebung” für die Umwandlung schaffen sollten. [4]
Das Personal der Einrichtung sollte aus Fachleuten bestehen, die Mitgefühl und einen hohen moralischen Charakter besitzen. Psychologen, Psychiater, Soziologen und Lehrerende sollten als Team zusammenarbeiten, um Gefangenen zu helfen, sich zu ändern.
Auch die Wärter sollten mitfühlend sein. Gefangene auf der ganzen Welt wissen, dass selbst die modernsten und fortschrittlichsten Gefängnisse nur so gut sind wie ihre Wärter. Wenn die Wärter kleinlich und schimpfend sind, unnötige Regeln aufstellen und leichte Verstöße mit dem Verlust von Privilegien bestrafen, machen sie den Gefangenen das Leben zur Hölle.
Wenn das gesamte Expertenteam sich einig ist, dass der Straftäter keine Gefahr mehr für die Gesellschaft darstellt, sollten die Gefangenen in Resozialisierungs-einrichtungen und Programme für die Wiedereingliederung gesendet werden.
Bildung ist ein Schlüssel zur persönlichen Veränderung, und eine Besserungsanstalt sollte jeden Gefangenen ermutigen, sich durch Kurse vor Ort oder Fernkurse weiterzubilden. In seiner Autobiografie beschreibt Nelson Mandela wie er und seine politischen Mitgefangenen auf der berüchtigten Robbin Insel in Südafrika dem Ort den Spitznamen ‚Die Universität‘ verdienten.
Sie taten dies durch ihren ständigen Kampf für Studienprivilegien und Fernkurse; sie hielten sogar kleine Klassen und Tutorien in Gruppen ab, während sie harte Arbeit im Kalksteinbruch verrichteten. [5]
Bildung ist ein nie endender Prozess der Selbstverbesserung, der zu Selbstrespekt führt. Jeder Häftling sollte dazu ermutigt und unterstützt werden.
Die Natur hat eine sehr therapeutische Wirkung auf den Geist, daher sollten innerhalb der hohen Mauern jeder Einrichtung große Gärten angelegt werden sollten. Tiere und Haustiere sollten einbezogen werden, um das Mitgefühl zu fördern.
Eine wesentliche Therapie für psychisch Kranke ist es, sich mit einer sinnvollen Arbeit zu beschäftigen. Gartenarbeit sollte daher Teil der täglichen Routine eines jeden Insassen sein. Sportarten und Spiele sollten ebenfalls organisiert werden, um die körperliche Gesundheit und Fitness zu fördern.
Jeder Insasse sollte eine nahrhafte, ausgewogene Ernährung erhalten. Ein Grund für die erstaunlich niedrige Gewaltrate trotz der überfüllten Situation in vielen indischen Gefängnissen ist, dass die Gefangenen aufgrund von Budgetbeschränkungen und kulturellen Traditionen fast kein Fleisch, Fisch oder Eier zu essen bekommen. Auch das Rauchen sollte – wie in den koreanischen Gefängnissen – verboten werden.
Musik hat die Fähigkeit, das Bewusstsein des Menschen zu erheben. Erhebende klassische und spirituelle Musik sollte regelmäßig über das Soundsystem der Einrichtung gespielt werden.
Das Wesen dieser Institutionen würde sich also grundlegend von dem derzeitigen Rechtssystem unterscheiden. Das Strafrecht kann dann stark vereinfacht werden. Kataloge mit soundsovielen Jahren Haftstrafe für dieses oder jenes Verbrechen fielen weg. Grundlegende menschliche Werte und die tatsächliche Besserung der Menschen würden die Grundlage des Strafrechts bilden.
Dieser Artikel ist angelehnt an das Kapitel „A New Concept for Ethics and Justice“ aus dem Buch „After Capitalism“ von Dada Maheshvarananda, San Germán: Innerworld Publications 2012.
Quellen:
[1] P.R. Sarkar: Justice, in: Human Society Part 1, Kalkutta: Ananda Marga
Publications, 1959, überarbeitete Ausgabe 1998.
[2] Bo Lozoff: Deep and Simple, Durham, NC: Human Kindness Foundation, 1999.
[3] P.R. Sarkar: The Neohumanism of Sadvipras, in: Neohumanism in a Nutshell Part 1, Kalkutta: Ananda Marga Publications 1970.
[4] P.R. Sarkar: Justice, in: Human Society Part 1, Kalkutta: Ananda Marga
Publications, 1959, überarbeitete Ausgabe 1998.
[5] Nelson Mandela: Long Walk to Freedom, New York: Little Brown & Co., 1995.
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