Der Inhalt des Artikels entspricht der Meinung des Autors und nicht notwendigerweise der Redaktion.
Von Indrajit Joachim Vogt
Gelenktes Denken
“Die breite Öffentlichkeit weiß nicht, was vor sich geht, und sie weiß noch nicht einmal, dass sie nichts weiß.”
Noam Chomsky, Sprachwissenschaftler und politischer Publizist
Kleine Geschichte der Massenpsychologie
Im Jahre 1895 veröffentlichte der Franzose Gustave Le Bon ein Buch, das zu einem Klassiker der Sozialpsychologie werden sollte: Psychologie der Massen. Der weit gereiste Mediziner, Anthropologe, Psychologe, Soziologe und Erfinder beschreibt darin die psychologischen Eigenheiten von Menschen, wenn diese in Ansammlungen und Gruppen in Erscheinung treten.
Demnach kommen in solchen Situationen ganz andere Antriebe und Verhaltensweisen zum Vorschein als bei einzeln auftretenden Individuen. Das Buch beschreibt, wie Massen durch politische Narrative und Überzeugungen beeinflusst und gelenkt werden können und wie die Vernunft selbst bei gebildeten Menschen quasi außer Kraft gesetzt wird.
Und warum sollte das so sein? Weil “das Unbewusste” eine maßgeblichere Rolle spiele als die Rationalität und sich dies besonders in Massensituationen bemerkbar mache.
Vom Vater staatlicher Propaganda
Le Bons Werk beeinflusste die Arbeiten von Siegmund Freud, Max Weber und vieler weiterer Wissenschaftler. Doch mit den Aktivitäten von Edward Bernays, einem als Kind in die USA ausgewanderten Neffen Siegmund Freuds, nahm die Wissenschaft der Massenbeeinflussung eine neue, sehr konkrete Richtung.
Was von ihm anfangs noch als Propaganda bezeichnet und später in Public Relations umbenannt wurde, setzte Bernays über viele Jahrzehnte hinweg in Form von Werbekampagnen für die US-Regierung und Großkonzerne in die Praxis um. In seinem Buch Propaganda von 1928 beschreibt er Grundlagen und Methoden der Massenbeeinflussung.
Bernays war beteiligt, als im Auftrag der US-Regierung der amerikanischen Bevölkerung der Kriegseintritt 1917 schmackhaft gemacht wurde. Er entwarf im Auftrag der Aluminum Company of America die Kampagne für die allgemeine Fluoridisierung des Trinkwassers. Er steigerte den Umsatz von Lucky Strike Zigaretten, indem er durch geschickte psychologische Tricks versuchte, das Rauchen auch für Frauen attraktiv zu machen.
Er erkämpfte Marktanteile für den Truckverkehr auf Kosten des Schienenverkehrs mit einer Kampagne, die am Ende den US-Kongress dazu brachte Milliarden für den Ausbau des Straßennetzes freizugeben. Er vertrat die Interessen US-amerikanischer Konzerne in Lateinamerika und organisierte bspw. Imagekampagnen für die United Fruit Company in Guatemala, womit er gezielt die aufkommenden Sozialreformen sabotierte.
Selbstverständlich war er auch innenpolitisch in diversen Wahlkämpfen als Berater federführend. Und Bernays ist der Begründer eines ganz neuen psychologischen Fachgebiets: der Psychologischen Kriegsführung. ¹
Nach eigenen Aussagen Bernays hat auch NS-Propagandaminister Joseph Göbbels bei ihm abgeschaut. Bernays schrieb dazu: “Offensichtlich war die Attacke gegen die Juden Deutschlands kein emotionaler Ausbruch der Nazis, sondern eine wohlüberlegte, geplante Kampagne.” Diese Aussage wird durch den historischen Werdegang bestätigt: die Judenfeindlichkeit im NS-Deutschland wurde schrittweise eskaliert, beginnend mit Boykottaufrufen gegen jüdische Geschäfte und endend mit der Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung.
Passt Propaganda in eine Demokratie?
Bernays selbst betrachtete staatliche Propaganda als ein selbstverständliches und legitimes Mittel der Demokratie. Und während das Wort Propaganda mit seinem negativen Beigeschmack später durch das harmlose Public Relations ausgetauscht wurde, geistert heute ein anderes Schlagwort durch die Medien: Nudging …
Gemeint ist die politische Einflussnahme auf Trends in der Bevölkerung, bspw. gegen das Rauchen durch abschreckende Bilder auf Zigarettenpackungen oder für Impfakzeptanz durch Werbekampagnen mit glücklichen, gesunden Menschen, überzeugt klingenden Promis und hochstilisierten “Experten”. Die einseitige, unkritische Darstellung komplexer Sachverhalte in den öffentlichen Medien gehören ebenfalls dazu. Spätestens wenn abweichende Meinungen öffentlich diffamiert und unterdrückt werden, kann wohl niemand mehr von Demokratie sprechen.
Sozialpsychologische Aspekte des Neohumanismus
Wie steht das Gesagte im Zusammenhang mit Sarkars Vorträgen aus dem Jahre 1982? Nun, er hatte erkannt, wie sehr moderne Dogmen das Weltbild und das Leben der breiten Bevölkerung bestimmen und wie sie als psychologische Waffe eingesetzt werden um Ausbeutung zu vertuschen oder zu rechtfertigen.
Schon in den 1970er Jahren hatte er das Konzept der “psycho-ökonomischen Ausbeutung” eingeführt, bei der Dogmen und falsche Narrative zu diesem Zwecke tief im Bewusstsein der Menschen eingepflanzt werden. Er verwies auf die Rolle vereinnahmter Massenmedien in diesem Prozess und nannte es eine “grundsätzliche Schwäche der meisten Menschen” allem, was in den Massenmedien berichtet wird, zu leicht Glauben zu schenken [s. Neohumanismus: “Paradigma für eine neue Generation”].
Sentimente, mit denen Geschichte gemacht wurde
Sarkar entwickelte einen eigenen Ansatz um die psychologische Beeinflussung besser zu verstehen. Er identifizierte zwei grundlegende Kategorien kollektiver psychologischer Antriebe, die die Weltgeschichte geprägt haben und dies bis heute tun.
- Geosentimente, die aus der Liebe zu bestimmten Örtlichkeiten, bspw. dem Heimatland oder angeblich heiligen Orten entstehen. Zugrunde liegt hier wohl die enge historische Bindung des Menschen an seine direkte häusliche Umgebung, die die eigene Lebensgrundlage sicherte und permanent gegen Eindringlinge verteidigt werden musste. Noch heute kämpfen streitlustige Nachbarn um jeden Quadratzentimenter des eigenen Grundstücks. Menschen haben die Neigung, solche Gefühle für die eigene “Scholle” zu entwickeln. Das Geosentiment befeuert Besitzansprüche.
- Soziosentimente erwachsen aus Gruppenzugehörigkeiten und sind weitaus subtiler, mächtiger und gefährlicher sind als Geosentimente. Das Soziosentiment basiert auf der instinktiven menschlichen Neigung Gruppen und Gemeinschaften zu bilden. “Gruppe”, das bedeutet einerseits Sicherheit und Zusammengehörigkeit und andererseits Abgrenzung nach außen. Das Gruppensentiment befeuert Gruppismus.
Beiden Sentimenten sind folgende Merkmale zu eigen:
- Sie sind im Menschen angelegt und per se weder positiv noch negativ.
- Sie sind nicht statisch, sondern können in die eine oder andere Richtung gelenkt, verstärkt oder auch unterdrückt werden.
- Sentimente sind von großer Bedeutung für die Entwicklung der persönlichen Weltsicht. Abstrakt gesprochen generieren Sentimente Meinungen und politische Einstellungen. Konkreter ausgedrückt, sind sie verantwortlich für die Entstehung von etwas in den Köpfen, was man heute gern als “Ideologie” bezeichnet. Gemeint ist eine bestimmte Sichtweise, die, einmal übernommen, mit allen Mitteln vertreten und verteidigt wird und dies bis hin zur Verleugnung jeglicher Vernunft und Rationalität. Hier wird eine Meinung, Einstellung oder Sichtweise zum Dogma. Sentimente befeuern Dogmen.
Selbstverständlich unterliegen Menschen vielen weiteren persönlichen Sentimenten, die auch im gesellschaftlichen Kontext von Bedeutung sind. Doch Sozio- und Geosentimente sind im besonderen Maße manipulierbar um Massenbewegungen zu steuern, und darum geht es hier. Die nächsten Seiten zeigen Beispiele und stellen die Relevanz dieser Sentimente in einem größeren Zusammenhang dar.
Sentiment vs. Vernunft
Sentimente sind der Gegenpol zur Rationalität im Menschen. Sie sind ein innerer Antrieb, eine emotionale Energie, die Überzeugungen prägt. Wenn Sentimente stärker sind als die Ratio, werden Realitäten den eigenen Vorlieben entsprechend “angepasst” und die Vernunft außer Kraft gesetzt. So entstehen die verücktesten Meinungen und Einstellungen und sie werden mit hergesuchten (Schein-) Argumenten bis zum Letzten verteidigt.
Missbrauchte Sentimentalität
Die Menschheitsgeschichte ist voll von Beispielen für die Indoktrination der Bevölkerung mit Falschinfos, verdrehten Tatsachen und Halbwahrheiten; Vernunft und Fakten werden dabei zur Nebensache. Immer wieder wurden in der Vergangenheit auf diese Weise Progrome angestachelt, etwa gegen Juden im Mittelalter (“Sie haben die Brunnen vergiftet”) oder gegen unliebsame Frauen als “Hexen”. Auch dienen solche Kampagnen als “Blitzableiter” gegen berechtigten Volkszorn um von den eigentlichen Missständen abzulenken. Heutzutage sind die Methoden subtiler und gleichzeitig mächtiger geworden.
Digitale Hexenjagden
Mit der Entstehung der großen Nationalstaaten und der Weiterentwicklung der medialen Kommunikationsmöglichkeiten nahmen solche kollektiven Phänomene in der jüngeren Geschichte ganz neue Ausmaße an. Mit der zunehmenden Verbreitung von Büchern und Zeitungen wurden nationale Feindbilder aufgebaut und Vorurteile geschürt. Diese führten etwa dazu, dass Millionen Soldaten, darunter Akademiker und Künstler, voller Nationalstolz und Euphorie in den Ersten Weltkrieg zogen.
Heute sind es die großen Medienanstalten und internetbasierten Informationsplattformen, bis hinein in die Bildungsinstitutionen, die massiv die öffentliche Meinung prägen. Wenn hier wie in Deutschland große Abhängigkeiten zum Staatsapparat bestehen, kann politische Macht leicht missbraucht werden, denn die Informationshoheit wird quasi auf dem Präsentierteller angeboten.
Primat der Vernunft
Wie soll man sich nun gegen manipulierte Informationen wehren, sie entlarven? Nun, zunächst hat hier die instinktive Emotionalität des Menschen nichts verloren. Was zählt, ist eine glasklar rationale, positiv kritische Grundeinstellung gegenüber der Informationsflut. Sarkar spricht in diesem Zusammenhang von “rationalistischer Mentalität” [” s. NH: Erwachtes Gewissen”].
Welche Nachricht, die durch die Medienlandschaft geht, entspricht den Tatsachen? Welche ist verdreht, übertrieben, erfunden, unvollständig, einseitig dargestellt? Akribische Puzzlearbeit ist im heutigen Informationsdschungel die einzige Möglichkeit, der Wahrheit näher zu kommen: Validitätsprüfung der Quellen, Abgleich mit der bestehenden Informationslage, Plausibilität, kritische Berücksichtigung der Frage, wem die Information möglicherweise nützt.
Wissen plus Gewissen
Doch trotz gründlicher rationaler Prüfung ist Wahrheit nicht immer sicher von Unwahrheit zu unterscheiden. Bevor man sich also eine Information oder ein Konzept endgültig zu eigen macht, sollte man sich fragen, ob diese Information in ihren Konsequenzen dem Allgemeinwohl nützt oder schadet.
Hier ist nun eine weitere geistige Instanz gefragt, die leider im politischen Tagesgeschäft heute eher selten eine Rolle spielt: das Gewissen. Das Gewissen ist unser intuitiver Wertekodex und hilft Richtig und Falsch voneinander zu unterscheiden. In diesem Falle ist es die Entscheidung, ob eine Information oder ein Konzept unter dem Strich der Gesellschaft insgesamt nützlich ist oder nicht.
“Hören wir niemals auf, unser Wissen, unsere persönlichen Horizonte zu erweitern. Lassen wir uns durch nichts aufhalten im Kampf die sozialen Fesseln abzuwerfen.”
P. R.Sarkar
Fußnote:
¹ Zur Erinnerung: Der Irak und die Lügenkriege der USA
Kurz vor Beginn des ersten Irakkriegs sorgte eine Horrorgeschichte für Aufregung in der US-amerikanischen Öffentlichkeit: irakische Soldaten hätten beim Überfall auf Kuwait eine Klinik gestürmt, Neugeborene aus den Brutkästen gerissen, 120 an der Zahl, und sie am Boden sterben lassen. Dieses angebliche Brutkastenmassaker war in Wirklichkeit eine Erfindung der PR-Agentur Hill & Knowlton, finanziert vom kuwaitischen Staat, um in den USA die Kriegsbereitschaft in der Bevölkerung anzustacheln. Dieser Vorgang ist auf Wikipedia gut belegt. Eine Verwicklung der US-Regierung konnte demnach nie eindeutig nachgewiesen werden. Wundern würde auch dies wohl niemanden.
Auch der zweite Irakkrieg – dieses Mal gab es kein UN-Mandat für den Kriegseintritt der USA – war der Öffentlichkeit nur mit einer Lüge zu verkaufen: das Regime in Bagdad hätte für einen Angriff auf Israel ein Arsenal an Massenvernichtungswaffen angelegt. Der US-Außenminister Powell musste Jahre später vor der UN-Versammlung kleinlaut zugeben, dass alle angeblichen Beweise für die Existenz solcher Waffensysteme schlicht erfunden waren.
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Wir danken dem Autor für die Erlaubnis zur Veröffentlichung dieses Textes.
Dieser Artikel erschien zuerst auf cosmicdance.de:
https://cosmicdance.de/art/38/neohumanismus-einleitung
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