Die Natur und ihre heilende Kraft für Körper und Geist
Holger Rohde | 22.04.2020
Foto: Vom Autor
Eine kleine Wandererzählung
Es ist ein sonniger Morgen im April. Ein kühler Ostwind weht ums Haus.
Nach dem Frühstück fühle ich eine innere Unruhe in mir. Irgendwas zwischen Melancholie und kreisenden Gedanken. Einen Plan für den heutigen Tag habe ich nicht. Keine Termine. Aufgaben gibt es genug, die ich erledigen könnte. Mir ist nicht danach. Es gibt nichts, was nicht auch ein paar Stunden warten könnte. Ich horche in mich hinein: Mich zieht es einfach nur raus an die frische Luft, zur Sonne, in die Natur.
Ich spreche mit Sonja, meiner Frau, ob sie etwas dagegen hat, dass ich mich ein paar Stunden ausklinke. Hat sie nicht. Schnell ist mein Rucksack mit Trinkflasche und etwas Proviant gepackt. Pullover, Weste und Schuhe angezogen und die Sonnenbrille auf die Nase. Schon ziehe ich die Tür hinter mir zu und stehe im Garten.
Die Morgensonne wärmt mein Gesicht und der Wind kühlt es gleichzeitig. Ein schönes und behütetes Gefühl. Meine Füße tragen mich fort und ich finde rasch ein angenehmes Tempo. Ich blicke auf den Weg, der vor mir liegt. Bäume und Büsche mit ihrem hellgrünen Frühjahrskleid säumen ihn. Er ist staubig und trocken. Es hat wochenlang nicht geregnet.
Als erstes Ziel für meine Wanderung wähle ich ein Moorgebiet aus, das ungefähr 5 km von unserem Haus entfernt liegt. Ich war schon länger nicht mehr dort und im Frühjahr noch nie. Mein Weg führt mich durch mehrere kleine Wäldchen mit Kiefern, Eichen, Buchen, blühenden Wildkirschen und noch ganz vielen anderen Pflanzen.
Weiter geht es an einem Golfplatz vorbei. Dort wird gearbeitet, Rasenmäher brummen. Zwei Männer kommen mir mit einem Radlader und einem kleinen Kipplaster entgegen. Als sie mich sehen, verringern sie das Tempo. Sie wollen wohl nicht zu viel Staub aufwirbeln. Ich bedanke mich mit einem Handzeichen und einem Lächeln. Beide grüßen lächelnd zurück.
Etwas weiter schleudert eine Beregnungsanlage Wasser in die Luft und auf die Rasenfläche. Ich spüre, wie sich meine Stirn in Falten legt. Mir schießt das Wort „Wasserverschwendung“ durch den Kopf. Ist das wirklich nötig, nur damit ein paar Menschen ihrer Leidenschaft, dem Golf spielen, nachgehen können? Und das in diesen Zeiten? Fast gleichzeitig konzentriere ich mich darauf, an der nächsten Weggabelung links abzubiegen und schon ist dieser Gedanke wieder verschwunden. Auch nur wieder so ein Gedanke…
Eine Reiterin kommt mir entgegen und wir begrüßen uns mit einem fröhlichen „Hallo“. Ich laufe an grasenden Pferden und zotteligen schwarzen Rindern vorbei. Eines davon hebt den Kopf und begrüßt mich mit einem kräftigen „Muh“. Ich lächle es an, als es dazu den Kopf noch etwas schräg legt und mich neugierig anschaut.
Nun biege ich rechts auf eine schmale Straße ab. Gleich habe ich mein erstes Ziel erreicht. Nach ungefähr 300 Metern geht es links über einen schmalen Weg in das Moorgebiet. Sofort nehme ich einen anderen Geruch wahr. Hier ist die Luft feucht, leicht modrig. Nicht unangenehm, nur anders. Ich gehe auf einen Damm aus Torf. Er federt leicht unter meinen Füßen. Die Birken und Kiefern stehen zum Teil im Wasser. Einige Bäume sind abgestorben und stehen still da. Wie Zeugen einer anderen Zeit.
Hier versuchen Menschen etwas neu zu schaffen, was vor mehr als 100 Jahren durch die Trockenlegung und den Abbau von Torf zerstört wurde. Ich habe großen Respekt und bin dankbar für ihre Arbeit. Und ich genieße es, hier sein zu dürfen.
Ein Baumstumpf lädt dazu ein, mich auf ihm niederzulassen. Ich merke wie durstig ich geworden bin und hole meine Wasserflasche aus dem Rucksack. Etwas Appetit habe ich auch und beiße genüsslich in mein Brot und kaue dazu Apfelstückchen. Sehr lecker. Auch das kühle Wasser schmeckt mir hier besonders gut. Ich lasse den Blick schweifen. Welch ein herrliches Fleckchen habe ich mir doch für mein kleines Picknick ausgesucht.
Ich schließe meine Augen und lausche den Geräuschen. Vögel zwitschern, trockene Äste knarzen im Wind, Blätter rascheln, Insekten surren. Ich ziehe meine Sinne vom Außen in mein Innerstes zurück und versinke in einer Meditation. Glücksgefühle durchströmen mich.
Dieser Ort hat für mich etwas Wunderbares, geradezu magisch. Bald erhebe ich mich, packe meine Sachen wieder ein und werfe mir den Rucksack über. Nun ist der Weg mein Ziel. Direkt nach Hause werde ich noch nicht gehen. Und schon gar nicht auf dem Weg, auf dem ich gekommen bin.
Meine Füße tragen mich nun über Wege, auf denen ich noch nie gelaufen bin. Ich sehe Dinge, die ich so noch nie sah. Die Landschaft verändert sich an jeder Gabelung. Ich gehe durch Wäldchen, an Feldern und Wiesen vorbei. Häuser und Höfe liegen an meinem Weg. Keine Menschen weit und breit zu sehen. Nur ein paar Rehe, die aufgeschreckt fliehen. Mir fällt ein Bussard auf, der mich zu begleiten scheint.
Bald komme ich in mir bestens bekanntes Terrain. Hier war ich früher oft mit unserem Hund unterwegs. Ich bin dankbar für die schöne Zeit mit ihm. Der Wind weht über einen trockenen Acker und wirbelt den Sand auf.
Es sind fast vier Stunden vergangen, seit ich zuhause aufgebrochen bin. Meine Muskulatur signalisiert mir, dass es wieder Zeit für eine Pause wäre. Ich bin bald daheim und das schaffe ich noch. Mein Körper fühlt sich gestärkt an. Mein Geist ist erfrischt.
Diese Wanderung war eine gute Entscheidung. In den letzten Tagen habe ich sehr viel über die aktuelle Krise nachgedacht. Meine Gedanken kreisten um die Berichte in den verschiedenen Medien und die Diskussionen darüber. Was ist wahr und was ist gelogen? Was wird noch kommen? Welche Folgen wird das alles haben?
Gefühle von Angst und Wut hatten sich in meinen Geist geschlichen und das Fundament meines inneren Hauses ins Wanken gebracht. Ich habe es gespürt und mir eine Pause gegönnt. Mit Hilfe der heilenden Kraft der Natur für meinen Körper und meinen Geist.
Mein tiefes Mitgefühl gilt denen, die die Natur gerade nicht so erleben können, wie ich sie erleben darf. Es gilt den Menschen in den Pflegeheimen und in Quarantäne. Es gilt den Menschen, die in kleinen Wohnungen in der Stadt leben. Und den vielen Menschen, die gerade so viel und hart arbeiten, um sprichwörtlich den Laden am Laufen zu halten. Ich empfinde große Dankbarkeit. Und ich habe neue Kraft getankt, um mich weiter für das Wohl aller Menschen, der Tiere und der Natur einzusetzen.
Ich bin wieder daheim. Sonja ist im Garten und topft Zucchinipflänzchen um. Ich nehme sie in den Arm. Und ich bin glücklich.
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